
Laufen
Isabel Bogdan
Wie das Leben so läuft
Als ich über das Buch „Laufen“ von Isabel Bogdan nachdachte, viel mir auf, wie unterschiedlich wir das Wort eigentlich benutzen. Laufen im Sinne von joggen – wie im Buch – aber auch laufen im Sinne von gehen, die Art, wie wir laufen, also davon-laufen, hinterher-laufen, mit-laufen. Jemanden oder etwas laufen lassen usw.
Der Duden hat eine – wie ich finde – herrliche Definition unter 1.: laufen ist a) sich in aufrechter Haltung auf den Füßen in schnellerem Tempo so fortbewegen, dass sich jeweils für einen kurzen Augenblick beide Sohlen vom Boden lösen. Das klingt irgendwie wie des Menschen Art zu fliegen.
Aber nicht nur Menschen laufen, auch die Zeit läuft, Maschinen laufen, ein Projekt läuft, Wasser läuft, manchmal läuft die Nase, Filme laufen, Musik läuft im Hintergrund, alles ist in Bewegung.
Die (leider) namenlose Protagonistin möchte ihr Leben nach einem Schicksalsschlag auch wieder in Bewegung bringen und fängt an zu laufen. Der erste Satz „ich kann nicht mehr.“ bezieht sich zunächst aufs Laufen, aber im Lauf des Buches wird deutlich, dass es auch um ihr Leben geht, das sie so nicht mehr weiterleben kann. Mit kleinen Schritten arbeitet sie sich aus ihrem emotionalen Tief heraus.
Wir alle haben einmal laufen gelernt, sind etliche Male hingefallen – manchmal fanden wir das sogar lustig – sind wieder aufgestanden und haben es so lange probiert bis wir es konnten und unsere Eltern alle Schubladen und Blumenvasen sichern mussten. Je größer wir werden, desto höher ist die Fallhöhe. Wir haben auch nicht so viel Spaß daran, wieder und wieder aufzustehen, wenn wir gefallen sind. Die Versuchung, einfach unten liegen zu bleiben, ist groß. Aber liegen bleiben ist keine Option um vorwärts zu kommen.
Die Ich-Erzählerin verarbeitet im Lauftraining den Verlust ihres geliebten Menschen, der sie nun allein zurücklässt. Ihre Gedanken springen gerade zu Beginn des Buches teilweise hin und her, was ich total nachempfinden kann. Würde ich beim Laufen tatsächlich der Richtung meiner Gedanken folgen, würde ich wahrscheinlich im Zickzack rennen und mich ab und zu um die eigene Achse drehen. Die Gedankensprünge der Erzählerin sind in lange Schachtelsätze gepackt, die den Leser fast so außer Atem bringen wie die Läuferin selbst. Mal drehen sich die Gedanken um sie selber, mal spricht sie ihren K. (ich kürze ab um nicht zu spoilern) direkt an und stellt ihm Fragen, wieso er das getan hat. Aus ihren Gedanken heraus erfahren wir etwas über ihren aktuellen Gemütszustand, über die Vergangenheit und was sie sich für die Zukunft wünscht. So entsteht nach und nach ein klares Bild und es wird leichter, die Protagonistin zu verstehen.
Mit jedem Training kommt sie ein Stück weiter, werden ihre Gedanken strukturierter. Sie setzt sich das Ziel, am 10km Alsterlauf teilzunehmen. Je länger ihre Laufstrecken werden, desto geordneter scheint auch ihr Leben zu werden. Sie lernt zu akzeptieren, was passiert ist und mit Hilfe von Familie und Freunden, Musik und einer Therapeutin, den Weg zurück in ihr Leben finden.
Isabel Bodgan hat mit „Laufen“ auch ein schönes Bild entworfen, dass das Leben widerspiegelt. Wir fangen an mit ersten kleinen Schritten, rennen dann los in die weite Welt, fallen ab und zu hin oder laufen in die falsche Richtung, bleiben aber stets in Bewegung. Wer stehen bleibt, ist verloren oder braucht einfach mal eine Pause um sich wieder bereit zu machen für die nächsten Schritte.
So, meine Lieben, während ihr jetzt das Buch lest, ziehe ich meine Schuhe an und gehe…na was wohl? Laufen!
